Risikobewertung niederfrequenter elektromagnetischer Felder

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3.2 Beispiel für veränderten wissenschaftlichen Erkenntnisstand

Es kann nicht Aufgabe dieses Kommentars sein, anstelle von SCENIHR eigene Bewertungen und Empfehlungen darzulegen. Zur Illustration sei aber ein Beispiel (aus dem Niederfrequenzbereich) für einen sich aus mehreren Richtungen abzeichnenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand gegeben, der in entscheidenden Punkten den Argumenten widerspricht, die seit ca. 20 Jahren benutzt werden, um jegliche konkreten Vorsorgemaßnahmen zusätzlich zur Vorgabe der Grenzwerte von 1996 abzulehnen:

>>>    Unterschiedliche Experimente in verschiedenen Teilbereichen der Wirkungs-kette weisen auf kooperative Effekte der niederfrequenteren Strahlung mit ande-ren zusätzlichen Einflussfaktoren hin.

>>>    Als besonders wichtige  Einflussfaktoren sind hier die Strahlung von sichtbarem Licht (VIS-) oder UV-Strahlung zu nennen.

Besonders wichtig zum einem, weil  das hier interessierende Objekt der Belastung,  der Mensch, großenteils immer auch dem Einfluss von sichtbarem und ultraviolettem Licht ausgesetzt ist. Besonders wichtig zum anderen, weil UV- oder VIS-Strahlung als Hauptlieferant der Energie für den resultierenden Effekt dienen kann und die niederfrequentere Strahlung nur zur „Störung“ in Richtung unerwünschter Effekte beiträgt.  

>>>    Der Erkenntnisstand aus der Quantenmechanik besagt, dass niederfrequente elektromagnetische Felder in Kombination mit UV- oder VIS-Strahlung Einflüsse auf spezielle Moleküle  haben können, die sich ihrerseits speziell auf physiologische Prozesse auswirken können. Die Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur sind zahlreich und betreffen unterschiedliche Anwendungen.

>>>  Besonders interessant ist, dass unter den speziellen Molekülen, die die erforderlichen elektronischen Konfigurationen haben, auch Moleküle sind, die im Zusammenspiel mit VIS- oder UV-Strahlung regulierende Funktionen oder Schutzfunktionen haben. Als Beispiel für erstere seien Cryptochrome als „biologische Taktgeber“, als Beispiel für letztere Melanine als „UV-Schutz-Pigmente genannt.

Damit ist deutlich, dass die Störung durch elektromagnetische Felder indirekte, vielfältige und auch bei gleicher „Stör-Einwirkung“ unterschiedliche Wirkungen haben kann. So kann z.B. ein verminderter UV-Schutz an den unterschiedlichsten Stellen Folgen haben und je nach Verlauf der Schadenskumulation auch erst nach längeren Zeiten. Ebenso kann eine gleiche „Stör-Einwirkung“ auf regulierende Moleküle unterschiedliche Effekte haben, da die Regulierung von mehreren anderen Parametern mitbestimmt wird.
Eine  Konsequenz dieser Wirkungsmechanismuskette ist, dass ein Großteil früherer Experimente zwar geeignet ist, den Wissensstand zu erhöhen, aber nicht, um Aussagen zur Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit spezieller physiologischer Wirkungen z.B. niederfrequenter elektromagnetischer Felder zu machen.

Zwei Beispiele dazu:

(i) Es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass ein in vitro-Experiment mit der direkten Bestrahlung der charakteristischen Zellen eines Organs nicht die Fehlfunktion dieses Organs wiedergeben kann, die durch die Einwirkung auf Steuer- oder Schutzmoleküle bedingt ist, die ganz woanders lokalisiert  sein können.

(ii) Geht man von der Notwendigkeit einer kooperativen Wirkung mit UV- oder VIS-Strahlung aus, so wären alle Experimente, bei denen Verlauf und Dosis von UV- oder VIS-Strahlung nicht dokumentiert sind, nicht hinreichend aussagefähig.

Die häufig verwendete Argumentation, scheinbar widersprüchliche experimentelle Ergebnisse als Beleg gegen einen Einfluss niederfrequenter Strahlung zu verwenden, ist bei einer solchen experimentellen Grundlage nicht tragbar.

Nach dem Stand der Wissenschaft kann ein aufgezeigter möglicher Wirkungsmechanismus nicht mehr durch pauschale Gegenargumente der oben genannten Art in Frage gestellt werden.

Damit ist eine Antwort auf eine zentrale Frage der EU-Kommission an SCENIHR („biophysical mechanisms that could explain observed biological effects“) gegeben .

Im Kontrast dazu stehen die von uns als falsch erachteten Aussagen des SCENIHR-Meinungspapiers

„an inability to identify biophysical interactions mechanisms“,
„no interaction mechanism is  known regarding potential non-thermal effects of weak fields“
oder irreführenden Aussagen (s. Abschnitte 1 und 4) wie „no mechanism that operates at levels of exposure found in the everyday environment has been firmly identified“.