Risikobewertung niederfrequenter elektromagnetischer Felder

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Dosis-Wirkungs-Beziehung:

Konsequenzen des komplexen Signalnetzes und des unspezifischen Stimulus

 

>>>  Das Unterlassen von Schutz- oder Vorsorgemaßnahmen mit dem Fehlen der Kenntnis einer

        bestimmten Dosis- Wirkungs-Beziehung zu begründen ist nicht berechtigt.

 

Je spezifischer die Wechselwirkung eines Stimulus (z.B. eines medizinischen Wirkstoffes) mit seinem „Wirkungszielpartner“

ist, desto eher kann eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung deutlich werden.

Ist der Stimulus ein elektromagnetischen Feld, hat man es  hingegen zu tun mit einem unspezifischen Stimulus und einem

sehr komplexen Signalnetz, das für den Endpunkt verantwortlich ist.

Die Reaktion einer Zelle auf ein bestimmtes externes Signal ist von der Gesamtheit der momentanen „Signalsituation“

bestimmt, also von der Verfügbarkeit und dem „Schaltzustand“ aller Elemente der beteiligten Signalwege, die letztlich vom

externen Signal betroffen sind (siehe Abschnitt Komplexität--Konsequenz).

Das magnetische Feld kann überall im Körper wirken, also auch gleichzeitig an verschiedenen Elementen des betroffenen

Signalnetzes. Die potentiell beeinflussbaren Molekülgruppen können sich an unterschiedlichen Stellen des Signalnetzes

befinden, auch an zwei verschiedenen Signalketten, z.B. einer signalhemmenden und einer signalfördernden Signalkette.

Der Nettoeffekt hängt von der jeweiligen sonstigen Signalsituation ab. Damit kann das Fehlverhalten einer Zelle des

„Zielgewebes“ prinzipiell nicht nur durch direkte  Einwirkung des elektromagnetischen  Feldes auf die „Zielzelle“ ausgelöst

oder mitbestimmt werden, sondern auch durch Einwirkung auf ein oder mehrere Elemente außerhalb der Zielzelle der

beteiligten Signalwege, also z.B auf unterschiedliche Zelltypen in unterschiedlichen Organen.

Im Falle einer Krebserkrankung als Endpunkt ist auch ein sich langfristig zeitlich ändernder Anteil der gesamten bestim-

menden Signalsituation zu berücksichtigen, der bedingt ist u.a. durch etwaige kumulierte DNA-Schäden und  der sich

zeitlich ändernden Genexpression. Dieser Anteil hat  unterschiedliche Folgen, je nach der sonstigen Signalsituation.

Unter diesen Umständen ist keine einheitliche Dosis-Wirkungs-Beziehung zu erwarten.

 

Die SSK[1] konstatiert, dass im Falle magnetischer Wechselfelder selbst das Expositionsmaß nicht eindeutig

festgelegt sei. So herrsche z. B. noch Uneinigkeit bzw. Unkenntnis darüber, ob man bei magnetischen Wechselfeldern

einen zeitlichen Mittelwert, den Mittelwert nur der Anteile über einem Schwellenwert oder auch transiente Vorgänge

berücksichtigen müsste. Erst recht unklar sei es , ob es eine zeitliche Summenwirkung und damit eine „Dosis“-Größe

überhaupt gibt [SSK2011].

Die von der SSK angeführten Unklarheiten sind eine zwangsläufige Konsequenz des unspezifischen Stimulus

„elektromagnetisches Feld“ und des potentiell involvierten sehr komplexen Signalnetzes.

Die Wirkung  externer Stimuli unter Berücksichtigung  molekularbiologischer Signalwege wird im Rahmen der

(relativ neuen) Systembiologie ermittelt [Krem2012]. Im Rahmen der Systempharmakologie werden auf der Ebene

molekularbiologischer Signalwege neue Krebstherapie-Ansätze  beurteilt  [Yang2010].

Die durch ein komplexes System bedingte Nichterkennbarkeit oder Nichtdefinierbarkeit einer Dosis-Wirkungs-Beziehung

darf keinesfalls als Argument gegen eine kausale Wirkung des elektromagnetischen Feldes auf den betrachteten End-

punkt verwendet werden und letztlich als Argument gegen notwendige Schutz- oder Vorsorgemaßnahmen dienen.

Im Falle einer Promotor-, nicht aber Initiatorwirkung des niederfrequenten elektromagnetischen Feldes ist ohnehin keine

Dosis-Wirkungs-Beziehung erkennbar, solange der initiierende Stimulus nicht quantitativ erfasst ist. Die Notwendigkeit

von Schutz- oder Vorsorgemaßnahmen kann sich aber auch bei einer Promotorwirkung ergeben (siehe auch Abschnitt

Komplexität-Konsequenz).

 

Wie ungeeignet die Forderung nach der Kenntnis einer bestimmten Dosis-Wirkungs-Beziehung als Voraussetzung für

Vorsorgemaßnahmen ist, zeigen Beispiele aus der Praxis in Fällen, wo der kausale Zusammenhang heutzutage unbestrit-

ten ist, nämlich der zwischen UV-Strahlung und Hauptkrebs:

So bemängelt die SSK,

- dass immer noch gut konzipierte Studien, die den Zusammenhang zwischen UV-Dosis und Hautkrebsinzidenz dokumen-

  tieren, fehlen [SSK2011], oder

- dass Studien, die sich mit der Dosis-Abhängigkeit der Inzidenz der einzelnen Hautkrebs-Formen   beschäftigen, bisher

  nicht gezielt durchgeführt worden sind [SSK2011].

Die Problematik einer pauschalen Dosisdefinition wird bestätigt, wenn – wie sich abzeichnet - für die eine Hauptkrebsform

eine kumulative UV-Dosis verantwortlich ist, für eine andere eine intermittierende UV-Exposition [SSK2011].

Davon bleibt aber die Tatsache eines kausalen Zusammenhanges zwischen UV-Strahlung und Hauptkrebs  unberührt.

 

Die Konsequenz: Das Unterlassen von Schutz- oder Vorsorgemaßnahmen mit dem Fehlen der Kenntnis einer bestimmten

Dosis-Wirkungs-Beziehung zu begründen ist nicht berechtigt.



[1] SSK: Strahlenschutzkommission, ein Beratungsgremium der Bundesregierung