::
(II) Risikobewertung:
(IIa) Bewertung laut Executive Summary ( ARIMMORA):
Für politische Entscheider und Richter dürfte von den ARIMMORA-Ergebnissen nur die Executive Summary maßgeblich sein: In dieser werden als Fazit des ARIMMORA-Projektes weder direkt noch indirekt strengere Grenzwerte oder zusätzliche verpflichtende Vorsorgemaßnahmen für den Anwohnerschutz verlangt.
Die Executive Summary bezieht sich nur auf Leukämie im Kindesalter und stuft sie unverändert wie 2001 die IARC***) als „möglicherweise karzinogen“ ein („2b” Klassifikation nach IARC).
Begründet wird diese Einstufung auch 2014 noch durch die „begrenzte Evidenz“ der Karzinogenität bei Menschen und der unzureichenden Evidenz der Karzinogenität bei Tierversuchen.
(Der Begriff Evidenz wird hier wie von der Strahlenschutzkommission (SSK) im Sinne von „Beweislage“ und damit auch als Maß für die „Sicherheit des Wissens“ verwendet. [14])
Diese Klassifikation ist ein Hauptargument gegen die Einführung niedriger Grenzwerte oder zusätzlicher verpflichtender Vorsorgemaßnahmen (siehe die Diskussion und die vorbereitend en Papiere zur Neufassung der Verordnung über elektromagnetische Felder vom 14.8.2013).
Beispiele im Jahre 2014 dafür sind z.B. die Neuerrichtung von 380 kV-Leitungen in Abständen deutlich unter 100 m von Wohngebäuden (in Wohngebieten) in Schleswig-Holstein.
Die Aussage der Executive Summary erscheint falsch aus u.a. folgenden Gründen:
- Die verwendete Methode der Evidenzbewertung ist nicht akzeptabel (und wird auch von mehreren anderen Organisationen abgelehnt) [15].
- Im konkreten Anwendungsfall erscheint als besonders fragwürdig die hohe Wichtung der unzureichenden Evidenz der Karzinogenität bei Tierversuchen im Gesamturteil. Die Bewertung „unzureichende Evidenz“ entsteht allein dadurch, dass im Rahmen des Projekts völlig unzureichende Tierversuche durchgeführt wurden. Warnhinweise aus vielfach bestätigten erhöhten Krankheitsraten von Menschen zu ignorieren und eine Verhinderung von ansonsten angeratenen Vorsorgemaßnahmen maßgeblich dadurch, weil hypothetisch brauchbare Tierversuche gar nicht durchgeführt wurden, erscheint nicht tragbar (siehe auch Abschnitt (Ib) oben).
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es bisher kein anerkanntes Tiermodell für die UV-induzierte Hautkrebsentstehung gibt [13], und UV-Licht dennoch mit “überzeugender Evidenz“ als kanzerogen klassifiziert wird.
Betrachtet man die verbleibende Komponente der Evidenzbewertung, so verbleibt die Bewertung „begrenzte Evidenz der Karzinogenität bei Menschen“. Hinter diesem für Laien nicht sehr aussagekräftigen Begriff steht die Zuordnung „wahrscheinlich karzinogen für Menschen“ [15].
Das ist ein Befund, bei dem man normalerweise Vorsorge- oder andere Maßnahmen erwartet.
(IIb) Bewertung anhand des Textes außerhalb der Executive Summary ( ARIMMORA):
In der Executive Summary auf Seite 2 wird keinerlei Vorsorgeempfehlung gegeben, wohl aber auf Seite 19, unter der Bezeichnung „Politik der klugen Vermeidung“ (policy of 'prudent avoidance'): So wird empfohlen, dass neue Schulen nur in genügendem Abstand von Höchstspannungsleitungen bzw. neue Höchstspannungsleitungen nur entfernt von bestehenden Schulen gebaut werden sollen.
Das ARIMMORA-Projekt hat wichtiges Wissen zur möglichen Kanzerogenität des Ausgesetztseins gegenüber ELFMF**) hinzufügt, wie zu Recht - trotz aller in Abschnitt (I) genannten Defizite - konstatiert wird (S.19). Eine neue Einsicht in Wirkungsmechanismen wird genannt.
Die Konsequenz dieser Findungen erscheinen uns aber völlig unterbewertet: Denn noch 2009 wurde auf der Klausurtagung der SSK zum Thema "Risiken ionisierender und nichtionisierender Strahlung" konstatiert, dass "für niederfrequente Felder bisher kein zellulärer Wirkungsmechanismus bekannt ist" oder dass ein „ ein biophysikalischer Wirkmechanismus" fehlt [13]. Zu betonen ist, dass nicht eine fehlende detaillierte Aufklärung eines möglichen Wirkungsmechanismus moniert wurde, sondern die Kenntnis eines möglichen Wirkungsmechanismus. Das Argument eines fehlenden Wirkungsmechanismus war wesentlich für eine niedrige Evidenzeinstufung und die darauf begründete Ablehnung strengerer Regelungen wie z.B. verpflichtende Vorsorgemaßnahmen.
Ein wesentliches Ergebnis der in der Zusammenfassung des ARIMMORA-Projekts nur vage genannten „new mechanistic insight“ ist die „nicht-thermische“ Aktivierung von speziellen Biomolekülen durch ELFMF**) , und zwar schon bei einer magnetischen Flussdichte von unter 0,2 Mikrotesla.
Sowohl die Beteiligung von Cryptochrom als auch die Mitwirkung einer weiteren Energiequelle (blaues Licht) als auch die Aktivierung einer MAPK-Signalkaskade geben solide Hinweise auf Wirkungsmechanismen, die viele Jahre als unbekannt und oft sogar – mehr oder weniger unterschwellig – als unmöglich dargestellt wurden.
Das ist in zweifacher Hinsicht von großer Bedeutung:
A) Das wesentliche Argument eines Großteils der Ablehnungen strengerer Regelungen fällt weg. Diese war ja gerade, dass äußere Einflüsse unterhalb der thermischen Schwelle keine Wirkungen haben können.
B) Die untersuchten speziellen aktivierbaren Signalwege spielen eine wesentliche Rolle in einer Vielzahl von intra- und intermolekularen Signalprozessen, u.a. auch bei der Krebsentstehung.
In diesem Zusammenhang sei nochmals daran erinnert, dass die Beschränkung der Risikobewertung von ELFEMF*) auf Leukämie im Kindesalter bedingt ist durch unzureichende oder ganz fehlende sonstige Studien und nicht durch wissenschaftlich belegte Ausschlusskriterien.
I.a.W.: Der eigentlich zur Debatte stehende Risikumfang kann um ein Vielfaches höher sein.
(Diese Anmerkung ist keine Kritik am Projekt ARIMMORA, aber am Forschungsprogramm der EU. )
Fazit: Nach der Widerlegung des wesentlichen Gegenarguments und unter Berücksichtigung des aktuellen Kenntnisstands ist die Notwendigleit verpflichtender Vorsorgemaßnahmen angezeigt.
Anhang:
ARIMMORA-Risikobewertung: Aus Laiensicht:
(1) Einem Laien, z.B. einem Familienvater, erschließt sich nicht, warum Höchstspannungsleitungen in nahen Schulen anders wirken sollten als in dem Kinderzimmer seiner gleich nahen Wohnung.
(2) Nicht durchschaubar ist i.a. für einen Laien das Ausmaß der bekannten und noch unbekannten wesentlichen Zusammenhänge. Nachvollziehbar ist aber der Befund, dass ELFMF **) in das verantwortliche biomolekulare Regelsystem eingreifen kann. Auch wenn im Einzelnen nicht bekannt ist, wie das zu Schäden führen kann: Es ist naheliegend, solche Eingriffe von vornherein zu vermeiden, wenn Schäden wie z.B. Leukämie sehr ernsthaft zur Debatte stehen.